Donnerstag, 8. August 2013

aus  
Der Wahnsinn, den die Nacht erschafft - 23 Gedichte


Kaffee

Das grässliche Geräusch des Weckers durchschlägt mein Trommelfell, ich wache so verschreckt auf, als prügle jemand aus heiterem Himmel mit einer Rohrstange auf mich ein
und ich kann sie nicht fassen, diese unsägliche, widerliche Wahrheit
dass die Nacht schon vorbei ist
einfach so
diese wunderbare, mystische Nacht,
die mich berührte, mit ihrer ganz eigenen unsterblichen Melodie Fragen schießen spontan in meinen Schädel
Wie zum Teufel kann sich jemand erdreisten, mir den Schlaf zu rauben?
Ein äußerer Zwang lässt mich wie eine Parodie meiner Selbst aufstehen,
hinaus in die Kälte, hinaus in das Elend, das sie für uns geschaffen haben
Was ist das nur für eine Welt, in die wir hineingeworfen werden, wie die Schweine ins Schlachthaus?
Ich versuche, meine Augen zu öffnen, doch ich kann sie nur zu schmalen Schlitzen zusammenkneifen, versuche Orientierung zu erlangen, doch ich wanke durch die Wohnung wie ein vollgedröhnter Penner,
ein hoffnungsloser Fall, in der letzten Nacht noch auf der Suche nach dem Lebenssinn, nun auf der Suche nach seinen blauen Schlappen
Irgendwie gelange ich ins Badezimmer, setze mich auf die Toilette und würde dort so gerne weiterschlafen, nur noch ein bisschen Schlaf, wunderbarer, heilsamer Schlaf
Was ist das nur für eine Gesellschaft, die jeden Morgen aufs Neue eine solche geistige Tortur toleriert?
Wo vorher noch der Leichtsinn tobte, ist plötzlich alles kalt und trostlos und verdorben
Ich komme in die Küche und versuche, meine Körperfunktionen zu regeln, öffne den Schrank und ein warmer Duft strömt in meine Nase, endlich ein Lichtblick, an den ich mich klammern kann
Ich hole die Kaffeedose und die Kaffeefilter
hervor, dann noch einen kleinen Löffel, mit dem ich
Kaffeepulver
in den Filter häufe, eine gute Dosis schwarzen Bohnenkaffee,
so, wie es die Gewohnheit verlangt
ich schalte die Maschine an und höre zu, wie der Kaffee gekocht wird,
ein unverwechselbares Klangerlebnis
das schwarze Getränk fließt behutsam in die Kanne hinab, bis auch der letzte Tropfen aus dem Filter entronnen ist
Ich nehme die Kanne, gieße mir eine dreiviertel Tasse voll, nehme Milch aus dem Kühlschrank dazu, und fülle das letzte Viertel der Tasse mit Milch, dann setze ich mich an den Küchentisch und genieße diesen stillen Moment, vielleicht der letzte Moment bis zum Abend, bei
dem ich so etwas wie Frieden verspüre, allein und ohne dieses Getue
Ich versuche, das Unvermeidliche hinaus zu zögern, weil ich weiß, was mich erwartet; ich sehe mich bereits, wie hinter dem Lenker sitze und über die anderen Fahrer schimpfe; ich sehe bereits die dämlichen Gesichter der Kollegen, wie sie mir einen guten Morgen wünschen und ich ihnen auch,
jedoch wünschen wir uns in Wirklichkeit
nichts von Wert
Wir sind einfach nur da, weil wir irgendwo sein müssen, egal ob hier oder in Peking, in Paris oder New York
Es gibt keine Alternative, jedenfalls nicht im Moment
Und so versuche ich weiter, das Unvermeidliche hinaus zu zögern, trinke meinen Kaffee, starre die Küchenuhr an wie meinen schlimmsten Feind
Jedes Ticken bringt mich näher zu ihnen
Wie um alles in der Welt bin ich nur in eine solche Lage gekommen?
Ich warte ab, bis mir nichts mehr anderes übrig bleibt, bis ich wirklich gehen muss.
Ich trinke die letzten Schlücke Kaffee und klammere mich noch einmal
mit aller Kraft
an die Tasse
Als die Zeit gekommen ist, wird etwas in mir einfach ausgeschaltet
Ich weiß, dass es wichtig ist

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